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Filmfans in den 90ern: Wir waren Hardcore.

verfasst am 3.Juni 2009 von Markus Haage

Die 1990er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland. Der Kalte Krieg war beendet, Ost und West wiedervereint, die Berliner Mauer niedergerissen. Religiöser Fanatismus war noch in weiter Ferne, an einem jahrelangen War on Terror dachte niemand. Die Welt lag sich in den Armen, das Party-Jahrzehnt war angebrochen. Doch galt dies nicht für alle Bevölkerungsgruppen Deutschlands…

Für den gemeinen Horrorfilmfan, erkennbar an blasser Haut und Metalshirt, waren die 90er ein Jahrzehnt der Unterdrückung. 1992 schwappte eine Indizierungswelle unerkennbaren Ausmaßes über das Land, die letztlich darin resultierte, dass bis Januar 1998 über 2652 Filme in Deutschland auf dem Index standen. Zusätzlich waren bis dato (nach §131) 123 Filme verschiedener Medien beschlagnahmt wurden, medienübergreifend, von Video über Laserdisc bis hin zu Kinofilmen. Darunter fielen unzählige Klassiker des Horrorgenres, so z.B. Sam Raimis Independent-Smasher „Tanz der Teufel“ oder George A. Romeros Horror-Apokalypse „Zombie“.


(Quelle: Jugend Medien Schutz-Report 1/98, Auszug)

Hinzu kam die berühmte Schere im Kopf. Die Massen-Indizierungen zeigten Wirkung und Filmverleiher- und vertriebe schnitten ihre Werke im Voraus, für eine massenkompatible FSK-Freigabe und aus Angst vor dem Werbe- und Vertriebstod, nämlich der Indizierung und/oder Beschlagnahmung. Natürlich spielte auch ein gewisser Profitgedanke eine Rolle, allerdings nicht so, wie die meisten Filmfans es wohl denken mögen. Filme mit einem FSK 18-Siegel mussten für ein Kinorelease den vollen Mehrwertsteuersatz begleichen (damals 15%), während Filme mit einer FSK 16-Freigabe (und/oder niedriger) lediglich 7% entrichten mussten. Für einige Verleiher und Vertriebe, die sich auf härtere Action- oder Horrorkost spezialisierten, war dies natürlich ein brutaler Wettbewerbsnachteil. Allein schon deswegen, da ihre Produkte in der Regel für die Masse eh schon Nischenfilme darstellten und die Gewinnspanne dementsprechend gering gewesen ist. Für größere Verleiher war dies aber natürlich auch Anlass auf Teufel komm raus eine FSK 16-Freigabe zu erlangen. 18er-Filme im Kino, die sogar noch vollkommen ungeschnitten waren, stellten ab Mitte der 90er die absolute Ausnahme dar.

(Quelle: Cinema 2/96)

Es war in der Regel unmöglich selbst Hollywood-Blockbuster-Kost wie „Bad Boys – Harte Jungs“ (1995), „The Rock – Fels der Entscheidung“ (1996) oder „Con Air“ (1997) ungeschnitten in den Lichtspielhäusern zu sehen. Für den Heimvideomarkt in Bezug auf Nischenfilme fast ausgeschlossen. Hier wurden alle Genres zerschnitten, ohne Rücksicht auf Verluste, teils um relativ kleinere Gewaltspitzen („Hellraiser III“), manchmal sogar um jedwede Gewalt trotz FSK 18-Siegels („Braindead“) oder um komplette Handlungsstränge („Fortress – Die Festung“). Was dann als noch zu brutal für den volljährigen Deutschen galt, wurde zusätzlich indiziert oder gar beschlagnahmt. Es kam sogar vor, dass Videovertriebe einen Film komplett vom Markt nahmen, da sie eine kommende Beschlagnahmung befürchteten. So etwa geschehen mit dem Video zu „Ritter der Dämonen“, der am 18.10.1995 veröffentlicht und bereits nach einem halben Jahr, am 30.04.1996, indiziert wurden ist. Kurze Zeit später forderte der Vertrieb Universal/CiC die Videotheken in ganz Deutschland auf, ihre Tapes zum Film entweder zurückzuschicken oder ganz zu vernichten, da eben eine Beschlagnahme drohen würde (der Antrag war bereits gestellt). Wird ein Film beschlagnahmt, so wird nicht nur der Film selber eingezogen, auch der Vertrieb kann dann wegen Verbreitung gewaltverherrlichender Medien direkt zur Rechenschaft gezogen werden. Universal/CiC blieb somit kaum eine andere Wahl, als ihr eigenes Produkt vom Markt zu nehmen und zu zerstören. Erst sieben Jahre später erschien der Film auf DVD, ungeschnitten, aber weiterhin indiziert.

Bei der offiziellen Fortsetzung des Films, „Bordello of Blood“, ging Universal daraufhin auf Nummer Sicher, setzte bei 30 Szenen die Schere an und schnitt bereits im Vorfeld rund fünf Minuten an Gewaltdarstellungen heraus. Es blieb nur noch ein Torso des einstiegen Fun-Splatters übrig, der teilweise sogar die eigentliche Filmhandlung nicht mehr nachvollziehbar machte. Trotzdem erhielt der Film eine FSK 18-Freigabe und wurde zusätzlich indiziert. Die Frustration unter Filmfans war natürlich dementsprechend groß und „Bordello of Blood“ ist nur eines von sehr vielen Beispielen. In den 90ern wurde kaum ein Horrorfilm ohne Schnittauflagen seitens der FSK (wohlgemerkt für eine 18er-Freigabe) oder einer drohenden Indizierung veröffentlicht. Deutsche Videotheken stellten im Grunde nur noch ein Horrorkabinett an zerstückelten Filmen dar. Bei Neuveröffentlichungen konnte sich kein Horrorfilmfan sicher sein, für sein investiertes Geld auch wirklich die vom Regisseur beabsichtigte Version präsentiert zu bekommen.


(Quelle: Moviestar Jul. 95)

Aber auch Journalisten mussten den langen Arm des Gesetzes fürchten. Als die Fachzeitschrift Video eine Liste der derzeit erfolgreichsten Verleihvideos abdruckte, so wie es jeden Monat geschah, stand nach der Veröffentlichung des Heftes auf einmal die Polizei vor der Tür. Grund: In dieser Liste tauchte u.a. der Film „Terminator“ auf, der bereits indiziert gewesen ist. Die bloße Erwähnung des Filmtitels in den Verleihcharts verstanden die Behörden als öffentliche Werbung. Fortan wurden indizierte Filme (im Zusammenhang mit einer solchen Liste) nicht mehr genannt oder der Titel mit einem schwarzen Balken versehen. Die Berichterstattung an sich, z.B. aus filmhistorischen Gründen, konnte natürlich nicht vollends untersagt werden, aber der Staat achtete wohl ganz penibel auf die Einhaltung der Gesetze, was selbst bei einer neutralen Berichterstattung vorweg zu Diskussionen (und somit einer Schere im Kopf) in den Redaktionen sorgte. Und dies wirklich nicht ohne Grund: es ging sogar soweit, dass ein Sonderheft der Zeitschrift Moviestar namens „Zombie“ indiziert wurde…

Auch Hausdurchsuchungen waren damals an der Tagesordnung. So erinnere ich mich, wie im Frühjahr 1997 meine (damalige) Stammvideothek in der niedersächsischen Kleinstadt Schöningen von Wächtern des Jugendamtes und der Kripo heimgesucht wurde. Verdacht: Verbreitung gewaltverherrlichender Medien nach §131. Als die Staatsmacht wieder abzog (nachdem sie den Geschäftsbetrieb für mehrere Stunden lahmlegte), hatten sie ganze 120 Verleihkassetten erbeutet, die ihrer Meinung nach gegen das gültige Jugendschutzgesetz verstoßen würde. Sie nahmen auch den Stein des Anstoßes mit: „Tanz der Teufel“, ein Film der in verschiedenen Schnittauflagen mehrmals indiziert und beschlagnahmt wurde. Wie sich letztlich herausstellte, hielt es sich dabei allerdings um die VCL-Version aus dem Jahre 1993, die zwar auch indiziert, aber eben nicht beschlagnahmt war. Der Verleih war somit vollkommen rechtens. Der Grund für die Hausdurchsuchung nichtens. Nach einer Woche bekam der Videothekar die Verleihfilme wieder. Ein Verstoß konnte nicht festgestellt werden. Eine Entschuldigung gab es natürlich nicht, geschweige denn einen Verdienstausfall für die mitgenommenen Videofilme (wie bereits gesagt, 120 an der Zahl). Ähnlich erging es vielen Videotheken deutschlandweit. Auch die Videothek vom ehemaligen „Art of Horror“-Herausgeber und Independent-Filmer Andreas Bethman in Braunschweig wurde von den behörden durchsucht. Ebenfalls ohne Ergebnis…


(Quelle: X-Rated 2/99)

Wenn man dann als Filmfan im deutschen Nirgendwo lebte, gab es kaum noch Chancen seine Lieblingsfilme ungeschnitten zu sehen. Das wussten die Behörden, und ich glaube, es ist auch fair zu behaupten, dass sie darauf auch spekulierten. Eine Indizierung erschwerte dem erwachsenen Filmfan den Zugang, was zu einer weiteren absurden Wettbewerbsverzerrung führte, zum Leidwesen aller Konsumenten (Anmerkung: das Verbraucherschutz-Ministerium schritt hier nie ein). Indizierte Filme, auch wenn sie zusätzlich geschnitten waren, wurden trotz eines relativ normalen Einkaufpreises von den Videothekaren und Händlern für 50 bis 60 Mark (rund 35 Euro inflationsberenigt 2013) an den Endkunden weitergegeben. Die Indizierung erlaubte einen hohen Preisaufschlag, denn schließlich handelte es sich ja um „besondere und schwer zu bestellene“ Filme. So zumindest offiziell. Inoffiziell war dies aber natürlich Nonsense, da die Verleiher natürlich sehr gerne größere Auflagen ihrer Filme produziert und vertrieben hätten. Die durch viele Händler festgesetzte Preisschraube hätte dadurch gelockert werden können. Gelebte Marktwirtschaft, eben. Durch das öffentliche Werbeverbot war es aber nicht einmal gestattet potentielle Kunden auf ihre Produkte überhaupt aufmerksam zu machen.

Eine Beschlagnahmung, die nächste Stufe, war natürlich de facto ein Totalverbot, auch wenn das Gesetz im Grunde nur besagt, dass der öffentliche Vertrieb und die Bewerbung untersagt ist. Der Besitz an sich nicht (Bedeutet: jeder durfte und darf beschlagnahmte Filme besitzen und sie in seinen eigenen vier Wänden so oft anschauen wie er möchte).


(Quelle: Cinema 11/90)

Natürlich wusste sich der Filmfreund auch damals schon zu helfen, auch wenn Vater Staat mit all seinen Machtapparaten versuchte, ihm den Zugang zu seinen ungeschnittenen Unterhaltungsmedien zu verbieten. Im Folgendem möchte ich auf die verschiedenen, teils recht abenteuerlichen und auch illegalen, Wege hinweisen, die Filmfans der 1990er in ihrem eigenen Land einschlagen mussten, nur um ihre Filme ungeschnitten genießen zu dürfen…

1. Filmspaß im Inland? – Dann ab ins Ausland!
Das Internet steckte noch in seinen Kinderschuhen, der eigentliche Netz-Boom trat in Deutschland erst 2000/2001 los. Online-Shops, die heute für Filmfans nicht mehr wegzudenken sind, gab es für den Cineasten von Welt noch nicht. Und wenn doch, dann beschränkten diese sich in der Regel auf das normale Videotheken-Sortiment, welches es in jedem Kaufhaus oder eben der lokalen Videothek auch gab. Durch die grenzenlose Vernetzung erscheint es heutzutage vollkommen normal auch deutschsprachige Fassungen über die Schweiz oder Österreich zu importieren (obwohl dies bei indizierten oder gar beschlagnahmten Medien über den Postweg nicht legal ist, aufgrund der Masse aber kaum kontrollierbar). Damals hatte man aber nur Glück, wenn man z.B. in der Nähe der österreichischen oder holländischen Grenze lebte. So konnte man dank des Maastrichter Vertrags kurz über die Grenze tingeln und sich seine Filme ungeschnitten kaufen oder gar ausleihen (Videotheken im Grenzbereich waren auf deutsche Kunden spezialisiert).

Wer allerdings, wie der Großteil der deutschen Bevölkerung, nicht im diesem Grenzgebiet lebte, konnte nur unter hohen zeitlichen und finanziellen Aufwand den Trip ins Ausland realisieren. Also griff man oft auf englische, US-amerikanische oder holländische Importware zurück…

2. Import/Export
Videofilme aus Groß-Britannien erfreuten sich Mitte der 90er Jahre immer größerer Beliebtheit. Die Sprachbarriere stellte aufgrund des verpflichtenden Englisch-Unterrichts in Schulen für die jüngere Generation kein Hindernis mehr dar. Des Weiteren waren die englischen Tapes mit den deutschen Videorekorden kompatibel, da auch sie das PAL-System verwendeten (in Frankreich nutzte man das SECAM-System, ebenso im ehemaligen Ostblock, in den USA hingegen NTSC). Der Kaufpreis war ebenfalls relativ human. In der Regel bezahlte man ab Mitte der 1990er für ein englisches Tape 50 Mark (inflationsbereinigt 2013: rund 33 Euro). Das war zwar nicht zwingend weniger, als für ein deutsches indiziertes Tape. Dennoch war der Film dafür ind er Regel länger oder gar uncut. Für viele Videotheken war es keinerlei Problem die englischen Videos zu bestellen, und so gehörte auch ich zu den vielen Kunden, die in ihrer Dorfvideothek regelmäßig die englischen Tapes orderten.

Wollte man auf Nummer Sicher gehen, griff man gleich auf holländische Fassungen zurück. Da in Holland Filme nicht synchronisiert werden, beinhalteten diese natürlich die englische Tonspur. Wenn man Glück hatte war der Film auch noch in 16:9 oder Widescreen, so dass die holländischen Untertitel nicht zu weit in das Bild hereinragten (für viele ein Störfaktor, die dies eben nicht gewohnt waren).

„Tanz der Teufel 2“ von 4 Front Video gehörte wohl zu den Import-Dauerbrennern, auch wenn das englische Tape nicht uncut gewesen ist. Ein Tritt gegen den Kopf eines Darstellers musste herausgeschnitten werden. Dafür enthielt der Film allerdings alle weiteren Gewaltdarstellugen, rund 2 Minuten mehr (Schnittberichte.com: FSK 18 <-> BBFC 18). Ebenso populär war die englische Fassung von „Return of the living Dead 2“. Die deutsche Version von VCL musste erhebliche Feder lassen, insgesamt fehlten runde 8 Minuten (Schnittberichte.com: FSK 18 <-> BBFC 18).

Aber auch hier war Vorsicht geboten. Wie am Beispiel von „Tanz der Teufel 2“ erwähnt, ist nicht jedes Tape war auch wirklich ungeschnitten gewesen. Zwar ist der britische Filmmarkt insbesondere in der Darstellung von Gewalt weitaus liberaler als Deutschland, letztlich setzte Mitte der 80er aber auch in Großbritannien eine Beschlagsnahmungs- und Zensurwelle ein, die Anfang der 90er aufgrund eines Gewaltverbrechens an einem Kleinkind (welches auf den Film „Chucky 3“ zurückzuführen war) verschärft wurde. Die sogenannten Video Nasties (quasi das britische Schlagwort zur Umschreibung für englische 131er) umfassten teilweise bis zu 200 beschlagnahmte Filme. Allerdings war dies mit Deutschland nicht wirklich zu vergleichen, da das Gros an Horror- oder Actionfilmen weiterhin uncut auf den englischen Markt erschien. Und wenn sie geschnitten waren, dann umfaste dies oftmals nur kleinere Schnitte, die laut britischen Zensoren einen Nachahmungseffekt beinhalten könnten (Kopfnüsse oder die Verwendung von Stichwaffen).

Als allgemeine Beispiele:

Für den deutschen Videofreund, insbesondere hinsichtlich der heimischen Waren, ein oftmals zu vernachlässigender Faktor.

3. Die Videotheken und Händler rüsten um…
Natürlich zog der Import-Boom auch an deutschen Videothekaren nicht vorbei und nach dem Vorbild der ausländischen Verleih-Center öffneten in den 1990er Jahren unzählige Genre-Videotheken und Versandhändler in ganz Deutschland von Berlin über Braunschweig bis hin zu München ihre Pforten. Dieses Phänomen schaffte es sogar in die Mainstream-Filmberichterstattung…


(Quelle: Cinema 4/97)

Sie spezialisierten sich oftmals auf ausländische Fassungen, natürlich auch zu indizierten und beschlagnahmten Filmen, da diese eben nicht die eigentliche deutsche beschlagnahmte oder indizierte Fassung darstellten. Eine Gesetzeslücke, die es eine zeitlang ermöglichte offen Filme, wie etwa der indizierte und stark geschnittene „Hellraiser – Das Tor zur Hölle“ oder der beschlagnahmte und ebenfalls geschnittene „Braindead“, uncut anzubieten. Dieses führte in der Anfangszeit zu einem Kuriosum: die deutsche Liste der indizierten Medien füllte sich zunehmend mit ausländischen Fassungen. So wurde beispielsweise „Rambo 2“ gleich fünfmal indiziert. Einmal die deutsche Fassung und danach die amerikanische, türkische, italienische und englische Version.


(Quelle: Jugend Medien Schutz-Report 1/98)

Einer der bekanntestes Händler war Incredibly Strange Video, der sich fast ausschließlich auf Import-Ware spezialisierte. Hier konnte man für einen Durchschnittspreis von 49 Mark PAL-Fassungen einschlägiger Horror- und Action-Filme aus aller Welt ordern, ob aus Asien oder Amerika. Wobei man allerdings erwähnen muss, dass 49 Mark anfänglich für ein englisches Import-Tape SEHR wenig war. 1995 wurde als Beispiel der Van-Damme-Film „Harte Ziele – Allein gegen alle“ für 99 Mark im Tele-Movie-Shop der Zeitschrift Moviestar angeboten. Hierbei handelte es sich lediglich um das normale britische Release von Universal, welches zweifelsohne weitaus länger als die deutsche Fassung lief, aber dennoch nicht uncut gewesen ist. Die Moviestar bot in ihrem eigenem Versandhandel, dem erwähnten Tele-Movie-Shop, auch viele in Deutschland beschlagnahmte oder indizierte Filme offen an. So wurde der damals bereits indizierte „Braindead“ als neuseeländische Fassung angepriesen. Hierbei handelte es sich allerdings um das 4-Front-Video-Release aus Groß-Britannien, welches allerdings ungeschnitten und demzufolge mit der neuseeländischen Fassung inhaltlich identisch war. Von den beschlagnahmten Filmen „Zombie“ und „Zombie 2 – Das letzte Kapitel“ wurden die holländischen Fassungen beworben.

Quelle: Moviestar Feb. 1994 Quelle: Moviestar Okt. 1994
(Quelle: Moviestar Feb. 94 / Okt. 94 / Sep. 95)


(Quelle: Moviestar Dez. 95)

Mittlerweile ist diese Gesetzeslücke geschlossen, es gilt die Inhaltsgleichheit. Wenn die deutsche Fassung von „Cyborg“ indiziert ist, so ist es auch automatisch die englische Version (solange sie in Deutschland vertrieben wird), erstmal unabhängig von der Schnittfassung (ob länger oder gar kürzer). Sollte ein ausländischer Vertrieb damit nicht einverstanden sein, so könnte er theoretisch seine Fassung prüfen lassen. Allerdings wird dies kaum passieren, da die deutschen Verleih- und Vertriebsrechte bereits vergeben sind und zumindest bei populären Filmen damit von vornherein eine Konkurrenzsituation vermieden werden soll.

Für die Genre-Videotheken war dies zwar nicht der Untergang, solange sie sich auch noch auf andere Werke spezialisierten (in Deutschland unveröffentlichte Filme, Merchandise, etc.),…


(Quelle: Moviestar Sep. 95)

…aber spätestens seit den offenen Online-Import-Shops mussten viele wieder ihre Türen schließen.

4. Das Runde
Auch das Medium LaserDisc erfreute sich unter Filmfans großer Beliebtheit. Aufgrund des recht hohen (und stabilen) Preises konnte sie sich allerdings nie als wirkliches Massenmedium durchsetzen, wodurch die Preise wiederum auch nicht fallen konnten. Für den Fan ungeschnittener Filme stellte sie dennoch eine Alternative dar, entweder über direkte Importe aus dem Ausland oder geringen, dafür aber liebevoll gestalteten und ungeschnittenen heimischen Auflagen. Da LaserDisc ein alternatives Medium war, galt auch hier die Indizierung und/oder Beschlagnahmung vieler Filme für die LaserDisc eben nicht. Allerdings blieb das nur von kurzer Dauer.


(Quelle: Jugend Medien Schutz-Report 1/98)

Spätestens mit der Veröffentlichung der DVD wurde die LaserDisc überflüssig und stellt heute nur noch eines von vielen ausgedienten Medien dar.

5. Hauptsache haben: Schrullige Raubkopien jenseits von Gut und Böse
Auch Raubkopien erfreuten sich großer Beliebtheit und vielen Filmfans blieb auch nichts weiteres übrig, als auf sie zurückzugreifen. Man lebte mitten in Deutschland und war somit der Macht der Behörden und Institutionen ausgeliefert. Wenn diese der Überzeugung gewesen sind, dass die bereits geschnittene Fassung von „Freitag der 13. – Das letzte Kapitel“ auch noch in ihrer zensierten Form und trotz Indizierung auf erwachsene Menschen sich negativ auswirken könnte und deswegen zusätzlich beschlagnahmt werden muss, so konnte der Filmfan in 99% der Fälle auf keine Alternative zurückgreifen.

Die Qualität dieser Raubkopien war in der Regel miserabel. Irgendwann, irgendwo in Deutschland kopierte irgendjemand ein beschlagnahmtes (und bereits tausendmal abgenudeltes) Verleihtape. Über Irrungen und Wirrungen wurde dieses weitergegeben, weiterkopiert und wiederum weitergegeben und weiterkopiert. Der Qualitätsverlust pro Kopie war enorm, oftmals blieb vom Film nur ein schwammiges Etwas übrig, von dem der Filmfreund nur noch Ansätze des Bildes erkennen konnte. Im Zusammenspiel mit dem rauschenden Ton konnte er aber immerhin noch das Geschehen für sich selber im Kopf rekonstruieren.

Bei diesen Raubkopien ging es übrigens nie darum die Filmindustrie in irgendeiner Weise zu schädigen – was ja auch nicht möglich gewesen ist, da der Vertrieb der Filme in Deutschland sowieso untersagt gewesen ist. Auch die miserable Qualität spricht nicht dafür, dass man sich wirklich dem Filmgenuss hätte hingeben wollen. Es ging eher darum, den Staat auszutricksen. Der Filmfreund erfreute sich nicht unbedingt an dem Film selber, der in der vorliegenden Qualität kaum anschaubar war, sondern eher an dem Triumph etwas zu besitzen und zu kennen, dass die Staatsmacht mit allen Mitteln versuchte zu verbieten. Auch wenn man sich gar nicht so sicher sein konnte, um was es sich dabei überhaupt gehandelt hat…

6. Filmfans betrügen sich selber: Die Bootleg-Welle der 90er
Bootlegs nehmen eine ganz besondere Rolle im Vertrieb von ungeschnitten Filmen während der 90er Jahre ein. Natürlich existierten, wie zu jedem populären Medium, auch Bootlegs, auf die der Filmfreund als letztes Mittel zurückgreifen konnte. Mitte der 90er wurde eine regelrechte Bootleg-Videowelle losgetreten, bei der so kuriose Firmen wie GVP Denmark oder JPV Austria Filme ungeschnitten auf dem Markt warfen. Diese Bootleg-Welle sollte de facto die 90er Jahre in Sachen Uncut-Filme bestimmen.


(Quelle: Moviestar Sep. 95)

Bootlegs gibt es noch heute. Damals allerdings war dies ein Novum und Kuriosum, vor allem da die Filme offiziell beworben wurden (oftmals in der Zeitschrift Moviestar). Um es nicht allzu offensichtlich zu gestalten, wurden neue Filmtitel kreiert. So wurde aus „Hellraiser III“ einfach „Pinhead III“. „Stirb Langsam“ hieß fortan „Nice day to die“, „Zombie“ wurde in „Zombies im Kaufhaus“ umgetauft, „Hölle der lebenden Toten“ wurde nur noch „Virus“ genannt. Und aus „Dr.Giggles“ wurde der „Mad Doctor“. Die Filmfans wußten natürlich welche Filme damit gemeint waren.

Nun aber das wirklich Kuriose: hier wurden nicht einfach englische Tapes weiterkopiert, nein, die deutschen Fassungen wurden um die fehlenden Szenen bereichert. Was fehlte wurde reingeschnitten, mal recht professionell, mal per Play- und Record-Taste des Videorecorders. Denn diese Bootlegs konnten quasi von Jedermann mit zwei Videorecordern erstellt werden und wurden auch, so hatte es jedenfalls den Anschein, von Jedermann vertrieben. Die Qualität der einzelnen Bootlegs schwankte erheblich. Bei „Hellraiser II“ von GVP Denmark wurden einfach Szenen aus der ungeschnitten Hongkong-Fassung hereingeschnitten, komplett mit kantonesischen Untertiteln, einem anderen Bild- und Tonformat und teils erheblichen Qualitätsunterschieden zwischen den einzelnen Szenen. Ein wirklich sauberer Endschnitt war oftmals ausgeschlossen.

Hinzu kommt, dass das Geschäft dermaßen lukrativ gewesen ist, dass bald die Bootlegs einfach gebootlegt wurden. Selbsternannte Filmproduzenten nahmen einfach einen Farbkopierer, fertig war das Cover. Videohüllen gab es günstig, genauso wie Kassetten. So kam es sehr häufig vor, dass ein bekanntes Firmenlogo eines Leerkassetten-Herstellers von der Videokassette lächelte.

Aber nicht nur das…

Auch die unzähligen Händler, die auf einmal wie Unkraut aus dem Boden schossen, schienen schlichtweg normale Filmfans zu sein, die vom großen (illegalen) Kuchen etwas abhaben wollten. Anfangs lag der Preis für ein solches Bootleg bei bis zu 179 Mark (!), später pendelte der Preis sich im Schnitt bei 40 bis 60 Mark ein (abhängig vom Titel). Die reinen Produktionskosten waren im Vergleich lächerlich. Es mussten ja keine Lizenzen gezahlt werden, und das hierbei viele einfach in Eigenregie mit ihrem Videorecorder sich selber zum Händler und Videoproduzenten auserkoren, war wohl eine nur konsequente Nebenerscheinung. So fand man selbst in der Moviestar, immerhin einem bundesweit publizierten Magazin, regelmäßig Anzeigen der unterschiedlichen Labels und (oftmals selbsternannten) Händlern, die, die Raubkopien offen und unverhohlen anboten…


(Quelle: Moviestar Okt. 95)

Besonders beim letzten Beispiel, der gelben Anzeigen-Seite, wird dies deutlich. Der Shop Dreadful-Video öffnete seine Bestell-Hotline nur von 18 bis 21 Uhr. Normalerweise würde man denken, dass ein Versandhandel rund um die Uhr aktiv ist (oder zumindest 9 to 5), aber wenn man bis 16 Uhr arbeiten muss, kann man schlecht seine raubkopierten Raubkopien als kleinen Nebenverdienst verhökern…


(Quelle: Moviestar Okt. 95 / Dez. 95)

Es war wohl sogar so rentabel, dass der gute Andreas von Dreadful-Video seine Bestellzeiten innerhalb von zwei Monaten um zwei Stunden verlängerte – natürlich außerhalb der Arbeitszeit, versteht sich.

Von der Filmgemeide wurde dies merkwürdigerweise nie wirklich verteufelt, sondern akzeptiert und natürlich durch den Kauf dieser Bootlegs auch unterstützt. Dies lag wohl einfach daran, dass viele Filmfans meinten, sich das Recht herausnehmen zu dürfen, sich die vom Staat „verbotenen“ Früchte einfach selber zu pflücken. Unrecht sollte mit Unrecht beglichen werden. Selbst professionelle Händler unterstützen dies. Auch der Tele-Movie-Shop der Moviestar bot zahlreiche dieser Fassungen offiziell an…


(Quelle: Art of Horror Dez. 95 / Dez. 95 – Moviestar Dez. 95)


(Quelle: Moviestar Mai 95 / Okt. 95)

Und als eine Art Einkaufsführer wurden diese Fassungen auch wie offizielle Veröffentlichungen in damals populären Fanzines besprochen…


(Quelle: Art of Horror Dez. 95 / Dez. 95)

Übrigens waren auch Import-Boots keine Seltenheit, hier allerdings oftmals zu Filmen, die in Deutschland noch nicht veröffentlicht waren oder bei denen eine Veröffentlichung grundsätzlich in Frage gestellt werden konnte. Einer dieser Filme war der vierte Teil von „Kettensägenmassaker“, von dem bereits der zweite Teil es bis heute nicht nach Deutschland schaffte (und das obwohl sogar Dennis Hopper mitspielt). Ein sehr verbreitetes Import-Boot von „TCM 4“ war eine malaysische Fassung, die als Double-Feature auch Teil 1 beinhaltete…

Letztlich muss man sagen, dass sich bei dieser Bootleg-Welle die Filmfans im Grunde selber betrogen haben. Dadurch das sie bereit waren für Raubkopien absurd hohe Preise zu zahlen, wurde das Geschäft erst wirklich rentabel. Wobei man anmerken muss, dass selbst bei einem Preis von 19 Mark pro Tape das Geschäft bereits rentabel gewesen wäre. Von den üblichen Durchschnitts-Preisen um die 79 Mark ganz zu schweigen. Einen bleibenden Wert haben diese Fassungen nicht, letztlich stellen sie nur noch eine amüsante, weil vollkommen absurde Fußnote dar. Nun, ja, und für die Geldbeutel vieler Filmfans auch eine schmerzvolle Erinnerung. Noch heute werden diese von Phantomschmerzen geplagt.

Überraschenderweise ebbte die Bootleg-Welle zum Ende hin sehr schnell ab – als ob jemand von einem Tag auf den anderen die Quelle zum Versiegen gebracht hätte. Der Grund hierfür war recht simpel: professionelle Labels wie Astro oder Laser Paradise schickten sich von 1997 an, ihre eigenen Uncut-Fassungen zu produzieren. Offiziell, mit Lizenz und professionell zusammengeschnitten. Filmfans freute dies natürlich. Zu (damals) vernünftigen Preisen wurde die bestmögliche Qualität geboten. Astros erste Reihe, die sogenannte „Schwarze Serie“, ist noch heute unter Filmfans legendär. Diese Filmserie beinhaltete ungeschnittene Klassiker, wie etwa „Geisterstadt der Zombies“, „Ein Zombie hing am Glockenseil“, „Der New York Ripper“, „Lebendig gefressen“ oder „Das Haus an der Friedhofsmauer“. Auch auf LaserDisc wurden die Filme erfolgreich vertrieben, mit dem Durchbruch der DVD verschwand diees Medium allerdings schnell von der Bildfläche. Andere Anbieter wie etwa Screen Power zogen nach. Ungeschnittene (und offizielle) Fassungen, auch von indizierten und beschlagnahmten Klassikern, waren von nun an keine Seltenheit mehr. Die Bootlegs, zwei Jahre vorher noch hoch gehandelt, konnten nun eingemottet werden, oder landeten spätestens mit dem Durchbruch der DVD anno 2000 im Mülleimer.

Leider war die Freude der Fans nicht von langer Dauer. Über das Jahr 2000 hinweg, wurde fast die komplette „Schwarze Serie“ beschlagnahmt. Ähnliches geschah auch mit unzähligen weiteren, offiziellen Releases.

7. Kurz und knapp: Die Erlösung kam über Nacht…
Mit der Jahrtausendwende hat auch in Deutschland endgültig das digitale Zeitalter begonnen. Heutzutage sind DVD-Importe Alltag für Filmfans und unterscheiden sich vom Aufwand her nicht mehr mit normalen Inlandsbestellungen. Der Zugang zu den ungeschnittenen Fassungen des persönlichen Lieblingsfilms stellt keinerlei (unlösbares) Problem mehr dar. Natürlich werden auch weiterhin Filme geschnitten, indiziert und beschlagnahmt, wobei man allerdings anmerken muss, dass die staatlichen Behörden weitaus liberaler im Umgang mit Gewaltdarstellungen geworden sind, aber beim Zugriff des Filmfans auf Uncut-Fassungen ist der Staatsapparat mittlerweile einfach machtlos.


(Quelle: Cinema 4/99)

An die jüngeren Filmfans, die diese Phase nicht mehr erlebten, sei gesagt: wenn ihr wieder einmal über längere Lieferzeiten meckert oder euch über einen fehlenden Trailer auf einer DVD beschwert, dann fragt einfach einem Bruder im Geiste, der die 90er miterlebte.

Es gab eine Zeit, da musste man, nur um einen Film ungeschnitten zu sehen, Ländergrenzen überwinden. Und zwar physisch. Man musste sein Monatsgehalt oder Taschengeld weise vorausplanen und investieren. Vier Euro für einen Uncut-Film auf DVD, inklusive Trailer, Making-Of, Untertitel und verschiedenen Audiospuren? Wohl eher 35 Euro für ein schwabbeliges Video-Tape aus England. Die Blu-ray ist nicht im originalen Full-HD abgetastet, sondern wurde von einer alten DVD-Auflage hochgerechnet? Fuck, wenn auf dem Schulhof eine abgenudelte Kopie eines beschlagnahmten Films rumging, waren Filmfans froh, wenn sie die Silhouette der Schauspieler auf dem Bildschirm erkennen konnten! Anonyme Bestellvorgänge? Pah! Kontakte mussten geknüpft und gepflegt, größtenteils verdient (!) werden. Einen langen, steinigen Weg musste man abschreiten, bis man einen Blick unter die Ladentheke werfen durfte.

Heute reicht ein Mausklick auf den Bestell-Button eines Online-Shops aus. Oder eine Suchanfrage bei populären Videoportalen…

Oder, um es mit anderen Worten zu sagen, wir waren Helden! Wir waren Hardcore! Klingt schwülstig? Jepp, aber wenn ich es noch einmal Revue passieren lasse, dann bleibt mir nichts anderes übrig als zu sagen: WIR WAREN ES!

Markus Haage

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Mein Name ist Markus Haage, Chefredakteur und Herausgeber vom Neon Zombie-Magazin. Es gibt nicht sonderlich viel spektakuläres über mich zu erzählen. Ich führe ein sehr langweiliges Leben. Aber falls es doch jemanden interessiert, freue ich mich immer über einen Besuch meiner Website www.markus-haage.de! Danke im Voraus!